Samstag, 13. Oktober 2012

Der Fluch von Varanasi



Varanasi - das 'Venedig' des Indiens
Da war er nun gekommen, der Tag unserer Abreise aus dem schoenen Rishikesh – und wir waren absolut bereit fuer das Abenteuer Varanasi. Die Stadt, in die die ganze (Hindu-)Welt kommt, um zu sterben. Oder sich beim rituellen Baden im Ganges ein besseres naechstes Leben zu sichern. Von allen Seiten hoerten wir gemischte Meinungen ueber den heiligsten aller Hindu Orte: “der beste Zwischenstop unserer Reise…, eine tolle spirituelle Erfahrung…, dreckig und stinkend…, nur Abzocker und falsche Menschen…”. Das versprach ja spannend zu werden. Wir waren fest entschlossen, dass man den Ort einmal sehen muss, an dem sich Leben, Glauben und Tod so nahe stehen, und direkt nebeneinander vor den Augen aller Oeffentlichkeit abspielen…



Die Zugfahrt: Die Pechstraehne beginnt…

Die 13-stuendige Zugfahrt schreckte uns nicht wirklich ab, schliesslich war sie ueber Nacht, und bisher war das immer sehr angenehm: (halbwegs) gemuetliche Schlafkojen, nette indische Familien um uns herum, abends einschlafen und morgens relativ ausgeschlafen an einem voellig neuen Ort ankommen. Das lief auch soweit ganz gut – bis zum Aufwachen… Aufgeregt und gespannt was der Tag so bringt stand ich auf und wollte mir die Zaehne putzen. Ich ruettelte Tim wach, da er den Rucksack mit den Zahnbuersten hat – dachte ich! “Wieso, den hast du doch” kam es da nur verschlafen von oben. “Nein, ich habe ihn nicht! Ich dachte du…”. Oh nein! Panik stieg empor. Unser Rucksack! Wo zum Teufel ist der hin? Nicht dass ich besorgt um die Zahbuerste war, nein, in diesem Rucksack befand sich unser Samsung Netbook!!! Und jetzt soll es weg sein? Nein, das geht doch gar nicht! Wie vom Blitz getroffen sprangen wir auf und durchsuchten das komplette Abteil, verfolgt von verwirrt dreinblickenden Indern… Und es war die bittere Wahrheit, unser Rucksack – samt Laptop – wurde geklaut! Wir koennen uns bis heute nicht erklaeren wie das passieren konnte… Dann kam unsere Station, angekommen in Varanasi. Aussteigen! Ich blieb bis zur letzten Minute im Zug stehen, ich wollte es einfach nicht wahrhaben, der Rucksack musste doch im Zug sein! Leider werde ich das nie herausfinden, und stolperte voellig ausgelaugt und ueberfordert aus dem Zug, in die sengende Hitze… Namaste Varanasi…


Und der Stress hoert nicht auf…




Nach dem Schock mit dem Laptop wollten wir nur noch eins: ab in das schoene Hotel, das wir uns herausgesucht hatten und erst einmal herunterkommen… Das ‘Ganpati Guesthouse’ sollte direkt am Ganges liegen, mit schoenen bunten grossen Zimmern mit Blick auf den Fluss, und einem tollen Innenhof und Dachterasse. Genau das richtige um Varanasi doch noch halbwegs gut zu beginnen. Leider fuhren die Tuktuks vom Bahnhof aus nicht bis in die Altstadt, da die Gassen zu eng und verwinkelt sind. Ca. 15 Minuten Fussweg durch einen Irrgarten, in dem uns alle 10 Meter ein neuer 
Blick von unserem Rooftop
Inder in sein Hotel schleppen wollte. Egal, Augen zu und durch, es duerfte sich ja lohnen… Endlich da! Und… alles ausgebucht!!! Neeeeeeeiiiiin…. Ok, daneben steht ja ein aehnlich schoenes Hotel – auch ausgebucht! Das gibt es doch nicht…. Ein Inder an der Rezeption versprach uns in ein anderes “really nice” Hotel zu bringen. Da uns zu diesem Zeitpunkt dann Alles recht war, folgten wir seinem schnellen Schritt, unter der Last unseres immer schwerer werdenden Gepaecks und voellig durchgeschwitzt… Die Strassen wurden dreckiger, und der Eingang und die Rezeption des ‘Pooja Guesthouse’ sahen nicht sehr einladend aus. Genauso wenig einladend waren die Zimmer. Zwar sauber, aber heiss, ein Mini-Fenster und ein steinhartes Bett, und dafuer ganz schoen teuer – ca. 10 Euro ;)) … Hmmm… und nun? Naja, das Rooftop Restaurant war wohl das hoechste in der Stadt (und es war wirklich schoen, nachdem man die 4 Stockwerke mit Schwindel und Atemnot hinter sich gebracht hat). Also blieben wir…


Eindruecke von Varanasi: Drecksloch oder doch irgendwie schoen?

Hindus beim morgendlichen reinwaschen im Ganges
Also wir muessen sagen, wir haetten Schlimmeres erwartet. Die kleinen Gassen der Altstadt beherbergten (wie gewohnt) suesse kleine Shops, die Haendler priesen (wie gewohnt) ihre Ware an, Hindus tummelten sich (wie gewohnt) vor ihren kleinen Tempeln… Gut, ab und zu kamen auch die etwas stechenden Gerueche und Muell-Haeufchen zum Vorschein – wie gewohnt. Die Stadt war also nicht grossartig dreckiger als irgendwo sonst, wo es eben eine Altstadt mit engen Gassen gibt… Hmmm, schon mal eine ganz positive Ueberraschung…



Ganga Aarti
Dafuer gab es dann eine Enttaeuschung bei etwas, bei dem wir uns sicher waren, dass es ein einmaliges Erlebnis waere: Das traditionelle ‘Ganga Aarti’ – ein kraftvolles mystisches religioeses Ritual, das jeden Abend am Main Ghat (Ghat = Badestellen, Stufen die in den Ganges fuehren) zum Sonnenuntergang stattfand. Einer der Touristenmagnete Varanasis. Priester wuerden in Kostuemen ein Schauspiel mit Feuer, Gebet und Tanz auffuehren… Na das musste doch gut werden… Hmmm… Also entweder sassen wir auf der falschen Seite, oder die Goetter hatten gerade einen schlechten Tag und keine Lust uns zu begeistern. Eine halbe Stunde lang passierte erstmal gar nichts, ausser dass uns ein Bootsmann zum 100sten mal versuchte in sein Boot zu locken. Die anderen Touristen um uns herum waren ebenfalls enttaeuscht, was uns wenigstens versicherte, dass wir keine ignoranten Kulturbanausen waren… Ein kleines Highlight kam dann doch: die groesste Kuh (oder war es ein Bulle?), die ich je gesehen habe kam ploetzlich von unten die Treppen hochgestuermt! Waaaaaah, Alles sprang zur Seite, und… schade, ruckzuck war sie verschwunden und es wurde wieder langweilig ;) Wahrscheinlich haben wir einfach den falschen Tag erwischt…


Eine krasse, Varanasi-spezifische Erfahrung, die man nicht so richtig einordnen konnte, war unser Besuch am ‘Burning Ghat’ – eine der beiden Stellen am Ganges, wo tote Menschen in aller Oeffentlichkeit verbrannt werden! Beim Gedanken daran schauderte es uns doch ein wenig… Aber angucken mussten wir uns das trotzdem einmal. Wir entschieden uns dabei fuer das kleinere, nicht so touristische Burning Ghat. Von dem anderen Haupt-Verbrennungsort hatten wir viele Negativ-Stories gehoert ueber falsche Priester, die sich auf Touristen stuerzen und sie fuer die “Best Views” abzocken wollen… “Best Views” auf brennende tote Koerper, Abzocker am Sterbeort, und 100erte weisse Touristen mit klickenden Fotoapparaten – das war uns dann doch zu makaber… Als wir uns dem kleinen Ghat naeherten, wurden wir ploetzlich von einem Inder zur Seite geschubst: “Please, Madam, Sir, make some space”. Verbluefft drehten wir uns um: eine kleine Kolonne bewegte sich schnellem Schrittes auf uns zu, auf den Schultern einen umhuellten, mit Blumen geschmueckten Leichnam auf einer Trage… Brrrrr… Angekommen am Ghat kam direkt ein kleiner Mann auf uns zu, der uns anwies uns die Zeremonie von einem kleinen Vorsprung aus anzusehen, da die Stufen nur fuer Angehoerige waren. Gut, dachten wir, wenigstens noch ein bisschen “Privatsphaere” fuer die Familie… Der Koerper wurde zuerst im Ganges gewaschen, dann auf einer Art Scheiterhaufen aufgebahrt und angezuendet… Wir blickten auf die anderen beiden, schon laenger brennenden Haufen, bei einem konnte man die menschlichen Konturen erkennen… BBBBRRRRRRRR…. Nach 5 Minuten bat man uns dann zu gehen, was wir natuerlich respektierten und auch gerne taten…


Bootsfahrt zu Sonnenaufgang
Ein weiteres obligatorisches Erlebnis fuer Varanasi war eine Bootsfahrt zum Sonnenaufgang. Einer der Hotelangestellten wollte sich darum kuemmern. Also hiess es am letzten Morgen um 5:00 Uhr raus aus den Federn! Eigentlich wollten wir die Fahrt schon am Vortag machen, allerdings dachten wir mit 5:30 Uhr waere abends gemeint, und trafen spaeter auf einen verwunderten Bootsmann, der sich fragte wo wir denn waren :) Bloed gelaufen... 



Wir gingen diesmal also punktpuenktlich nach unten – alles war dunkel, die Hotelangestellten schliefen auf dem Boden, das Tor war verschlossen… Ploetzlich sprang ein Angestellter auf, und bat uns noch auf 2 andere Hotelgaeste zu warten… dann ging es los! Am Steg angekommen sollten wir dann auf einmal getrennt auf 2 Booten fahren… ???... Na klar, der wollte mehr Kohle von uns! Der Preis gilt schliesslich per Boot… Ha, aber nicht mit uns! Wir weigerten uns alle vier hartnaeckig, der Hotelangestellte wurde immer zickiger, aber gab dann am Ende doch nach… So nicht mein Freund! Die Bootsfahrt war dann wirklich endlich mal ein Traum!!! Die Sonne ging auf und erstrahlte in einem kraeftigen Pink, man sah die tollen alten Gebaeude (Varanasi ist eine der aeltesten Staedte der Welt), und die Hindus die sich froehlich im heiligen Wasser badeten und beteten. Ist doch viel besser als sich in die kalte dunkle Kirche zu hocken, oder?


Fazit: Magische Stadt mit schlechter Mentalitaet



Auch wenn es also in Varanasi durchaus schoene Seiten gab: Die generelle Mentalitaet verunstaltet das Ganze so ein bisschen. Vom ersten Tag an bemerkten wir, dass die Haendler aggressiver und aufdringlicher waren als sonst. Man fuehlte sich permanent eingeengt, und musste staendig auf der Hut sein dass man keinem Schwindler zum Opfer faellt. Die ganze Stadt ist verwebt in ein einziges grosses Fangnetz fuer Touristen, jeder erhaelt von irgendjemandem irgendeine Art von Kommission, wenn er irgendeine Ware/ Dienstleistung an den Mann bringt. Natuerlich ist nicht jeder Einheimische von grundaus schlecht. Wir haben auch wieder ein paar super nette Inder getroffen, denen wir voll und ganz trauen konnten. Aber auch die waren mit dem Verhalten ihrer Mitbuerger nicht einverstanden und beklagten, dass diese den Ruf ihrer Stadt verunstalteten. 

Ein paar Beispiele:

Unsere Bootsmaenner
1. Die Bootsmaenner, die uns weismachen wollten, dass eine Fahrt nun 600 Rupies pro Person (statt 150!) kosten sollte, da das Wasser im Ganges nun hoeher steht und man deshalb 3 Ruderer braucht statt 1… Na klar…

2. Der Tabla-Lehrer (Tabla ist eine traditionelle indische Trommel), bei dem wir fuer den naechsten morgen Tabla-Unterricht fuer 2 gebucht hatten: Wir mussten im Voraus bezahlen (ich weiss, selbst Schuld) und am morgen fiel ihm ein, dass er nur 1 Tabla hatte, und fragte ob nicht einer von uns Sitar lernen wollte… Und beigebracht hat er uns dann auch nicht viel, weil er eigentlich gar keine Lust hatte…

3. Der Typ, bei dem wir unsere Zugtickets nach Darjeeling gebucht hatten: Nicht nur hatte er uns den 18:30 Uhr Zug fest zugesichert, der sich dann doch in 21:20 Uhr verwandelte… Seine Komission von 150 Rs. insgesamt, wurde dann ploetzlich zu 150 Rs. pro Person… Ganz nebenbei erfuhren wir spaeter, dass der Zug gar nicht von Varanasi, sondern vom 1 Stunde entfernten Mughal Sarai abfaehrt! Oh Mann….

Was mich aber stets noch mehr auf die Palme brachte als die Betruegerei an sich, war dass jeder immer jegliche Schuld von sich wies, und am besten noch versuchte, sie uns in die Schuhe zu schieben. Jeder fuehlte sich sofort angegriffen wenn man ganz normal fragte: “Warum hast du das denn nicht eher gesagt”… Dem wurde geschickt ausgewichen mit Dingen wie “There is no train from Varanasi to Darjeeling” – “Ja, das wissen wir nun, aber warum hast du uns das denn nicht vorher gesagt????”


Versuch der Stadt zu entfliehen

Nach einer selbst organisierten Busfahrt fuer ca. 20 cent (statt der 30mal so teuren Tuktuk-Fahrt, die uns der Zugtyp anbot) kamen wir stolz am Bahnhof Mughal Sarai an, bereit das Kapitel Varanasi hinter uns zu lassen… Als wir in die Halle traten, trafen wir ploetzlich auf Simon – ein sehr netter und lockerer Neuseelaender, den wir kurz in Varanasi getroffen hatten. Wir hatten bereits Emails ausgetauscht, da er einen Tag frueher als wir ebenfalls nach Darjeeling reisen wollte… Aber warte mal – was macht er denn dann noch hier??? Wir fanden schnell heraus, dass Simon etwas Aehnliches passiert war wie uns, nur hatte er etwas weniger Glueck: Auch er wusste nicht, dass der Zug nicht von Varanasi faehrt, und fand es erst raus als es schon zu spaet war. Wieder einer ins Varanasi-Netz getappt… Aber dieses mal meinte es das Schicksal auf irgendeine Weise doch gut, denn wenigstens waren wir in netter Gesellschaft :) 

Das Team vom Bahnhof Mughal Sarai
Ha, das Schicksal meint es gut? In (oder bei) Varanasi? Hahaha… Wir blickten auf die Anzeige, und was wir neben unserem Zug sahen war unfassbar: 8 Stunden Verspaetung??? Neeeeeeiiiin! Das durfte doch alles nicht wahr sein… Wir liefen aufgeregt ueber den Bahnhof, in der Hoffnung dass es noch einen anderen Zug gaebe – gab es natuerlich nicht… Wir mussten uns wohl mit einer Uebernachtung am Bahnhof anfreunden – fuer Simon nun schon der zweite Tag Verzug! Da hat sich das Schicksal dann doch gedacht, dass es ein wenig hart mit uns umgegangen war, und schickte uns drei super nette und witzige Amerikaner: Sienna, Adina und Carl aus Seattle. Auch diese drei waren auf dem Weg nach Darjeeling und sassen fest. So beschlossen wir, alle zusammen zu bleiben, und vertrieben uns die Zeit mit Bierchen, spannenden travel stories und israelischen Kartenspielen. Wir schafften es sogar auch ein paar Stuendchen zu schlafen (der eine mehr, der andere weniger)… Leider war auch nach 8 Stunden die Wartezeit noch nicht vorbei: noch 2 Stunden mehr. Na gut, macht jetzt den Braten auch nicht mehr fett… Jetzt los? Nein, nochmal 2 Stunden – OK, was soll’s. Nach geschlagenen 18 Stunden sassen wir dann endlich alle zusammen im Zug, gluecklich und gespannt was wir alle zusammen in Darjeeling erleben werden… Und ihr duerft auch gespannt sein ;)

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